Die Vorfahrtsregeln beim Segeln ergeben sich zuerst aus den KVR, aber nicht nur. Zuständig für die Verkehrsregeln der Schifffahrt auf der ganzen Welt ist die Internationale Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen – kurz IMO. Die Organisation brachte 1972 die international gültigen Kollisionsverhütungsregeln (KVR) auf den Weg. Die Mitgliedsstaaten waren aufgefordert, diese Regeln entsprechend zu ratifizieren, was inzwischen geschehen ist.
Die KVR gelten im Prinzip nicht nur in internationalen Gewässern, sondern auch in den Hoheitsgewässern der Mitgliedsstaaten. Dort kann es vorkommen, dass speziellere Regeln – wie zum Beispiel die der Seeschifffahrtsstraßenordnung in Deutschland – den allgemeinen Regeln der KVR vorgehen. Skipper informieren sich daher besser im Vorfeld eines Törns über lokale Abweichungen. Die wesentlichen Merkmale unterscheiden sich aber nur in wenigen Ausnahmen von den KVR.
Inhalt
Vorfahrtsregeln Segeln: Ausweichpflicht vs. Kurshaltepflicht
Kreuzen zwei Segler den jeweiligen Kurs des anderen in absehbarer Zeit, ist es nötig, dass beide sich so verhalten, dass der jeweils andere weiß, womit er zu rechnen hat. Weicht ein Boot aus, muss das andere den Kurs halten, damit es nicht zu einer Kollision kommt. Würden beide Schiffe willkürliche Kursänderungen vornehmen, um auszuweichen, wäre nicht auszuschließen, dass sie sich auf den beiden neuen Kursen wieder in Kollisionsgefahr befinden.
Das sollen feste Regeln, welches der beiden Boote der Kurshalter ist und welches ausweichen – also seinen Kurs ändern – muss, verhindern. Beherrschen die Skipper die Vorschriften und verhalten sich eindeutig und frühzeitig so, dass das eingeleitete Ausweichmanöver klar zu erkennen ist, kann es völlig problemlos verlaufen. Wer ausweicht und wer den Kurs hält, definieren einige einfache Grundregeln:
Vorfahrtsregeln Segeln: Lee vor Luv
Diese Regel für den Fall dass sich:
- zwei Segler begegnen und
- beide den Wind aus der gleichen Richtung bekommen.
Nun kommt es beim Segeln darauf an, welches Boot sich in Luv des anderen befindet. Entscheidend ist also nicht die eigene Luv-Seite, sondern das Verhältnis der beiden Segler zueinander. Kurshalter ist hier der Leewärtige. Der Luvwärtige ist verpflichtet, entschlossen und klar auszuweichen – in der Regel durch wenden, abfallen oder indem er das Tempo verringert, sofern dafür noch genug Zeit bleibt.
Backbordbug vor Steuerbordbug
Diese Regel findet dann Anwendung, wenn sich:
- zwei Segler begegnen und
- beide den Wind aus unterschiedlichen Richtungen bekommen.
Die Lee-vor-Luv-Regel ist hier nicht anwendbar, weil Luv und Lee in diesem Fall unterschiedliche Seiten der Boote bezeichnen, denn sie bewegen sich in verschiedenen Richtungen. Deshalb greift man auf die Steuer- und Backbordseite zur Bestimmung von Kurshalte- und Ausweichpflicht zurück.
Es gilt, dass derjenige, der den Wind von Backbord bekommt, ausweichen muss. Beliebt ist die Faustregel „Segel links bringt’s.“ Sie bezeichnet den Umstand, dass das Boot, das den Wind von Steuerbord hat, das Segel naturgemäß links stehen hat. Wer sich nicht ganz sicher ist, muss also nur nach oben schauen und weiß dann sicher, dass er der Kurshalter ist.
Manöver des letzten Augenblicks
Das sogenannte „Manöver des letzten Augenblicks“ definiert eine Ausnahme von allen anderen Kollisionsverhütungsregeln. Sie gilt nicht nur für Segler, sondern für alle Schiffe. Diese Ausnahmeregelung gilt, wenn:
- ein Ausweichmanöver nötig ist oder gerade schon stattfindet und
- das ausweichpflichtige Schiff durch sein Manöver allein eine Kollision nicht mehr verhindern kann.
Nur in diesem Fall verlässt der Kurshalter seinen Kurs. Es ist ihm in diesem Moment nicht nur erlaubt, von der Kurshaltepflicht abzuweichen, sondern er ist sogar ausdrücklich dazu verpflichtet, um einen Unfall noch zu vermeiden.
Das Manöver findet in der Regel so statt, dass der Kurshalter sein Schiff auf einen Parallelkurs zum Ausweichpflichtigen bringt.
„Überholer hält sich frei“
Die Regel zum Überholen muss deutlich von der Lee-vor-Luv-Regel abgegrenzt werden, da auch hier beide Segler in der gleichen Richtung unterwegs sind, also den Wind von der gleichen Seite bekommen. Um ein Überholmanöver handelt es sich, wenn:
- sich zwei Segler begegnen,
- beide den Wind aus gleicher Richtung haben und
- sich einer dem Heck des anderen nähert in einem Bereich, der als „22,5 Grad achterlicher als Querab“ definiert ist.
Dieser Bereich beschreibt einen Winkel, der als gedachtes Dreieck im Heck des Kurshalters liegt. Wer sich von dort annähert, ist somit Überholer. „Lee vor Luv“ gilt in diesem Winkel nicht. Der Überholer ist immer ausweichpflichtig und überholt grundsätzlich besser in Luv, um nicht in den Windschatten des Kurshalters zu geraten. Wer sich über den 22,5-Grad-Winkel nicht ganz sicher ist, betrachtet sich prinzipiell als Überholer, beharrt nicht auf „Luv vor Lee“ und weicht aus.
Segelboot vs. Surfer
Die Regelungen zu Surfern sind nicht einheitlich. Die KVR stufen Surfbretter als Sportgeräte ein. Damit sind sie Seglern nicht gleichgestellt. Lokal gelten aber oft andere Vorschriften, sodass Surfer durchaus unter die Regeln für Segler fallen können. Jeder Skipper sollte sich deshalb vor einem Törn in einem Binnenrevier über entsprechende Regeln informieren.
Grundsätzlich ist Vorsicht geboten und Rücksicht zu nehmen, denn Surfer können auch leicht einmal die Gewalt über ihr Sportgerät verlieren.
Segelboot vs. Motorboot
Nach den KVR ist ein Motorboot einem Segler gegenüber ausweichpflichtig. Gemäß dem Grundsatz, dass immer der ausweicht, dem das Manöver leichter fällt, müssen Motorboote- und -schiffe allen anderen grundsätzlich ausweichen.
Wichtig ist außerdem, dass die KVR für Segelschiffe nur für Boote gelten, die auch tatsächlich unter Segeln fahren. Ein Segler, der mit Motorantrieb fährt, gilt als Motorschiff im Sinne der KVR und muss jedem Boot unter Segeln ausweichen.